Skylla und Webitis.

Diese Woche möchte ich davon berichten, wie der Arbeitsablauf in einem Web-Projekt aus Sicht des Texters aussieht. Man möge es mir verzeihen, wenn ich zwischendurch etwas gar bitter wirken sollte.

„Bitter“? Das klingt ja schon einmal nicht so gut.

Stimmt. Aber der Reihe nach.

Texter arbeiten selten isoliert, einfach nur für sich. Anders als Schriftsteller geht es nicht nur darum, dass man eine möglichst gute Geschichte möglichst geschickt erzählt. Eingeschlossen in seinem Kämmerchen, die Katze auf dem Schoß und die Gattin ins Wohnzimmer verbannt. Schön wär’s.

Nein, ein Texter arbeitet normalerweise nur an einem Teil eines größeren Projektes. Insbesondere bei Web-Projekten. Mit Team, Projektleiter etcetera. Oh ja, die Projektleiter. Und deren Mitarbeiter …

Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie während der Entwurfsphase zwar zuerst nur mit dem offiziellen Projektleiter zu tun haben werden, dann aber alle vom CEO bis zur Putzfrau in die Texte reinquatschen. Das führt oft zu recht drolligen Situationen.

Ein Beispiel: Der Projektleiter findet alles supi-toll. Aber zwei Wochen, nachdem der Texter das Projekt schon fast vergessen hat, kommt eine Mail vom Vorgesetzten des Projektleiters, dass er da noch „ein paar kleine Änderungen“ habe. Die alles auf den Kopf stellen, natürlich.

Ganz geil wird’s dann, wenn eine Firma nicht nur einen Geschäftsführer hat, sondern eine „Geschäftsleitung“ mit drei oder vier gleichberechtigten Partnern. Dann hat man gegebenenfalls drei oder vier verschiedene Änderungs-Ansätze für die Überarbeitung. Und die Putzfrau will ja auch noch etwas dazu sagen und hat dummerweise Ihre Telephonnummer im Papierkorb gefunden.

Daher: Bestehen Sie immer auf einen einzelnen Ansprechpartner. Sie sind Textarbeiter, nicht Projekt-Koordinatoren. Halten Sie sich immer an diese eine Person und beißen Sie nicht zu stark in die Tischplatte, wenn jemand anderes Änderungswünsche einbringt. Das tut den Zähnen nicht gut. Und der Platte auch nicht.

Das aber nur als Vorwort, sozusagen. Wie läuft denn nun so ein Web-Projekt für einen kleineren bis mittleren Auftraggeber ab?

  1. Die Geschäftsleitung sagt: „Wolle neue Website! Sofort! Du Projektleiter!“
  2. Der Projektleiter erstellt ein Konzept. Oft gibt er die Arbeit an seinen Marketing-Assistenten ab, der nur wenig Erfahrung mit dem Internet hat. Ist nicht weiter schlimm, denn der Projektleiter selbst hat auch keine Ahnung vom Netz.
  3. Das Konzept geht an eine Webagentur. Die Leute lachen über Anforderung Nummer 34, die technisch nicht umsetzbar ist, und schreiben eine Offerte.
  4. Jetzt passiert einige Zeit gar nichts, weil die Geschäftsleitung ob der Offerte brüskiert nach Eike schreit. Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass die Geschäftsleitung und die Webagentur sich doch noch einigen können.
  5. Eine Graphikerin, oft freischaffend, entwickelt drei visuelle Entwürfe für die Website, während die Webagentur bereits mit der Programmierung anfängt. Die Graphikerin macht eigentlich sonst nur Drucksachen, mit Web kennt sie sich nur ansatzweise aus.
  6. Der Projektleiter nimmt das hässlichste Design an und gibt es bei der Webagentur in Auftrag.
  7. Dann dauert’s eine ganze Weile, bis die Webagentur mit dem Projektleiter geklärt hat, dass die von der Graphikerin vorgegebenen Schriftarten im Internet nicht laufen und dass Punkt 34 im Konzept nicht umsetzbar ist.
  8. Die Website ist praktisch fertig! Die Webagentur fragt nach den Texten und Bildern für den sogenannten „Content“.
  9. Der Projektleiter wird bleich, denn die Texte hatte er ganz vergessen. Die Website soll in einer Woche, passend zur Fachmesse, online gehen.
  10. Der Projektleiter versucht selbst, die Texte zu schreiben. Aber die Ergebnisse sind Mist. Ergo fragt er die Webagentur, ob sie nicht einen Texter kennen?
  11. Der Texter arbeitet unter Hochdruck an den Webinhalten und liefert die Texte fristgerecht ab. Der Projektleiter ist ganz ganz glücklich darüber.
  12. Ein paar Wochen später. Die Website ist noch immer nicht online, denn es gab Probleme mit den Bildrechten.
  13. Jetzt kommt das, was ich bereits oben erwähnt habe.
  14. Etwa ein halbes Jahr später, passend zur nächsten Fachmesse, geht die Website ans Netz. Die Geschäftsleitung ist nicht glücklich übers Endprodukt und beschließt, im nächsten Jahr die Website neu bauen zu lassen.

Haben Sie’s bemerkt? Erst bei Punkt 11.) kommt der Texter überhaupt ins Spiel. Irgendwie wird oft vergessen, dass eine Website auch Inhalte braucht, nicht nur Design und Funktionalität. Oder es wird damit gerechnet, dass z.B. der Stift kurz die Marketing-Texte aus der Broschüre abtippen kann. Dass die schon fürs Internet reichen würden. Manche Firmen hängen dann einfach nur die Prospekte als PDF ins Netz und schreiben einen Satz daneben: „Für weitere Informationen zu unseren Dienstleistungen klicken Sie bitte HIER (PDF-Download).“

Natürlich gibt es auch die perfekt organisierten Projekte. Wo der Graphiker aufs Internet spezialisiert und fester Mitarbeiter bei der Webagentur ist. Wo der Auftraggeber auch gleich ein Inhaltskonzept abliefert oder bei einer Werbeagentur in Auftrag gibt. Wo der Texter bereits während der Design-Phase mit den ersten Entwürfen anfangen kann. So dass er später, wenn das visuelle Design steht, nur noch die Texte etwas kürzen muss.

Ja, das gibt es tatsächlich. Aber das wäre so ein ziemlich langweiliger Artikel geworden, nicht?

Dieser Artikel erschien erstmalig am 24. Oktober 2008 im Forum der Schreibszene Schweiz.

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