Was habe ich 2021 gelernt? — Arbeit und Technik

Anstelle eines ereigniszentrischen Jahresrückblicks möchte ich darüber sprechen, was ich im Pandemiejahr 2021 alles für und über mich gelernt habe. Teil 2 von 5: Wie lief’s im zweiten Coronajahr so beruflich?

Vorweggenommen, wie bereits 2020 war dieses Jahr beruflich nicht nur für mich alles andere als ein gutes Jahr, so als Selbständiger. Zwar fanden etwas häufiger Veranstaltungen statt als im ersten Corona-Jahr, aber die systemischen Probleme der Medien nahmen weiter an Fahrt auf. Ich nutzte die Zeit entsprechend für das, was man in einer Firma wohl «interne Organisation» nennen würde. In meine Liste haben es unter anderem diese drei Punkte geschafft:

Es ist Pandemie, nicht normal arbeiten zu können ist das neue Normal

Es ist okay, wenn man mal nicht «mag», die Energie fehlt und man einfach nur erschöpft und mütend vor dem iPad oder hinter der Kamera herumsitzt. Meine Güte, es ist Pandemie! Letztes Jahr war ich noch vorsichtig optimistisch; ich hatte erwartet, dass sich die Leute um die Impfung reissen und wir die Situation gemeinsam in den Griff bekommen werden. Pustekuchen. Dass es dann auch in der Zusammenarbeit mit Klient:innen und Redaktionen weiterhin unrund laufen kann, darf nicht verwundern. Veranstaltungen von der kleinen Lesung bis zum Spengler-Cup können innerhalb von 24h abgesagt werden. Interviewpartner:innen sitzen plötzlich in Isolation fest, Artikel werden verschoben, weil der Bundesrat an einer Medienkonferenz etwas Dummes gesagt hat. Und so weiter. Eine gewisse Gelassenheit ist auch für freiberufliche Mitarbeitende durchaus angebracht. Shit happens. Get over it. Smile.

Silos sind nicht schlimm, aber es braucht einen Ausstiegsplan

Die reduzierte Auftragszahl war wie gemacht dafür, dass ich meine Software-Infrastruktur hinterfrage und mit neuen Tools experimentiere. Denn wenn’s mit einem frischen Werkzeug nicht klappen will, sind nicht gleich dutzende Artikel oder hunderte Fotos betroffen. Mir ist dabei aufgefallen, dass ich über die Jahre mehr und mehr in so genannte «Silos» gerutscht bin – Applikationen also, die ihre Daten in einer eigenen, geschlossenen Datenbank und/oder in proprietären Formaten verwalten.

Was meine Experimente gezeigt haben, ist, dass das nicht weiters schlimm ist – vorausgesetzt, ich bekomme mein Geraffel aus besagten Silos und besonders auch Apples «Walled Garden» heraus. In einem weiteren Schritt hat es Sinn, zwischendurch zu prüfen, ob man seine gewohnte Arbeitsabläufe mit anderen Tools oder auf einem anderen Betriebssystem abbilden kann. Das ist eine Sache, an der ich auch nach der Pandemie festhalten möchte, also ein Mal im Jahr und einen Monat lang meine am häufigsten genutzten Werkzeuge beiseite zu legen und mit etwas ganz anderem zu arbeiten. Es beruhigt mich, wenn ich merke: Ja, ich komme immer irgendwie an meine Daten. Und wer weiss, vielleicht finden sich auch Verbesserungen für den gewohnten «Workflow»?

Die Relationen müssen gewahrt bleiben

Pandemie hier, Erwerbsausfall da – aber es bringt nichts, kopflos jeden Auftrag anzunehmen, der sich doch noch anbietet. Drei Stunden ÖV, eineinhalb Stunden vor Ort, dann drei Stunden für die Bilderauswahl und das Runterschreiben? Für am Schluss vielleicht 20 Franken Stunden-«Lohn»? Ist es die körperliche und psychische Belastung wert? Und wie sieht es mit der ständigen Erreichbarkeit aus, damit man auch ja keinen potenziellen Auftrag verpasst? Ich habe für mich einige Regeln aufgestellt:

  1. Falls zwischen Anfrage und Deadline weniger als 7-10 Tage liegen, muss das Honorar entsprechend höher ausfallen. Davon ausgenommen sind Dinge, für die ich eh schon vor Ort gewesen wäre.
  2. Ich bin nur noch für eine Handvoll Menschen in Echtzeit telefonisch erreichbar, alles Andere wird aufs Voicemail umgeleitet. Die ständigen Anrufe reissen mich aus dem Flow und sorgen für einen unterschwelligen Dauer-Stress. Ich muss mit dem Telefon also wie mit Mail umgehen können – die Anfragen genau dann abarbeiten, wenn ich Zeit und Energie dafür habe.
  3. A propos Mail – wenn ich dann doch mal einige Tage frei-frei brauche, um meine Batterien zu laden, richte ich seit kurzem eine Autoreply ein. Die Trennung zwischen «privat» und «beruflich» fällt Selbständigen traditionell schwer. Kurze, automatisierte Antworten helfen zumindest mir enorm in dieser Hinsicht: Ich gucke nicht «doch noch kurz» ins Mail, sondern dann, wenn ich aus dem Pseudo-Kurzurlaub «zurück» bin. Also genau so, wie es auch die meisten Angestellten handhaben sollten.

Für Print sieht es nicht gut aus

Heute hat das WEMF die aktuellen Reichweiten verschiedener Schweizer Print-Produkte – Zeitungen und Magazine – publiziert. Selbst die meistgelesene Zeitung der Schweiz hat fast 20 % an Reichweite eingebüsst.

Neue Zürcher Zeitung? -14 %. Aargauer Zeitung? -13 %. 20 Minuten? -19 %. «Meine» Haupt-Zeitung, St. Galler Tagblatt incl. Regionalzeitungen, hat’s mit -2 % noch einigermassen glimpflich erwischt. Aber die aktuellen WEMF-Zahlen sind deutlich: Print, so, wie wir ihn seit ca. 1780 kennen, stirbt einen langsamen, langsamen Tod.

Keine Überraschung, aber weiterhin ein Problem

Gut, das kommt nicht wirklich überraschend. Und für viele Leserinnen und Leser dürfte sich die Frage stellen – jo, und nu? Die Zahlen in digitalen Formaten steigen, klar sinken im Gegenzug die Totholz-Anteile? Das mag so sein. Aber ignoriert die Art und Weise, wie viele Journalisten und Journalistinnen, Reporterinnen und Reporter arbeiten, mit der (mehr oder minder) klaren Arbeitsteilung, Vieraugen-Prinzip, Blattmacher*innen, Korrektorat und so weiter. Es wird interessant sein, zu sehen, wie 20 Minuten mit der neuen «social-first»-Strategie zurande kommen wird – immerhin entscheiden dann die Menschen am Social-Desk oder vielleicht gar die Berichtenden live vor Ort, wie Lead und Anriss des Beitrags aussehen sollen, und wann und wo er erscheint.

Problem (nicht nur) für freie Mitarbeitende

Kurz – für Redaktionen ist’s nicht einfach nur ein Medienwechsel. Es ist auch ein Wechsel im Workflow, in der Firmenkultur und führt gegebenenfalls zu einem veränderten Qualitätsanspruch. Schwierig kann das für freie Mitarbeitende werden, denn diese arbeiten in der Regel für verschiedene Redaktionen, die mehr oder weniger weit in diesem Medienwandel-Prozess fortgeschritten sind. Damit wird einerseits eine etwaige Zweitverwertung aufwendiger oder verunmöglicht. Andererseits verpassen sie als «Freie» interne Weiterbildungen oder informell an der Kaffeemaschine bestimmte Konventionen und Regeln.

Wandel kann man nicht aufhalten, höchstens ausbremsen. Persönlich begrüsse ich es, dass mein Altpapierstapel zunehmend an Umfang verliert. Moderne Displays sind für mich gut genug, um auch lange Beiträge zu lesen. Meinen Einstieg als Reporter hatte ich in reinen Online-Medien, als freier Mitarbeiter muss ich mich eh an zig verschiedene Vademeca und Vorgaben halten – die eine Publikation möchte nur Bilder im 16:9-Format, die andere mit runtergeschraubtem Kontrast für die Offset-Maschine. Die eine gendert mit Sternchen, bei der anderen streicht das Korrektorat alles Gegenderte raus, die dritte hat gar kein Korrektorat. Also business as usual für mich und meine freiberuflichen Kolleg*innen? Irgendwie schon. Aber wie gut Redaktionen als Gesamtes, mit ihren gewachsenen Strukturen, Aufgaben, Funktionen und Abläufen, damit klar kommen? Da wird es interessant bleiben. Und ich kann es verstehen, wenn es etwas länger dauert, bis sich das einigermassen eingependelt hat.