Twitter, X, und Nope

14 Jahre. 14 verdammte Jahre war ich auf Twitter aktiv. Andere Menschen brauchen so lange, um sich vom Baby zum Pubertier zu entwickeln. Eine lange, lange Zeit. Aber – das war’s für mich.

Ich muss an dieser Stelle nicht wiederholen, was mit dem Kurznachrichtendienst X, née Twitter, geschehen ist. Die Zeitungen (und Twitter) waren und sind voll davon. Und natürlich waren auf Twitter auch vor Musks Kamikaze-Management nicht immer nur Rosen und Champagner angesagt. Wer erinnert sich nicht an die Disinformationskampagnen, die mit Trumps Nominierung als Kandidat der GOP einher gingen – nein, nicht die jetzige, sondern bereits 2016.

Und es wurde nur schlimmer. Menschen wurden während den Anfängen der Covid-Pandemie systematisch auf Twitter fertig gemacht und in den Selbstmord getrieben. Doxxing, Dogpiling, Shitstorms und noch viele andere unangenehme Vokabeln mit US-amerikanischem Flair gab es auf Twitter schon immer, aber haben massiv an Fahrt aufgenommen. Und dann, unter dem selbsterklärten «Free Speech Absolutist» Elon Musk, sind Homo- und Transhass, unironische Mordaufrufe, offen gezeigte Nazi-Sympathien, systematische Lügen, Antisemitismus, Rassismus und einfach nur Hass in der konzentriertesten Form nicht nur normal geworden. Sondern zunehmend die Norm.

Nope. Da habe ich keinen Bock darauf, 14 Jahre Aktivität auf der Plattform hin oder her.

Ich möchte ein solches Geschäftsmodell, das Hass via Algorithmen anheizt, weil es «engaging» ist, nicht unterstützen. Ich will nicht Menschen mit zweifelhaften und menschenfeindlichen Ideen indirekt eine Plattform und direkt mein Ohr bieten, weil besagter Algorithmus das ständig hochschiebt. Ich will nicht für Werbetreibende interessant sein, die damit kein Problem zu haben scheinen – einen Monat im Jahr den Avatar mit Regenbogenfarben zu versehen wird ja wohl genügen, um ein bisserl Imagepflege zu betreiben, ne?

Vor allem aber habe ich wirklich genug von diesem ganzen Hass. Hass, den der Besitzer der Plattform auch noch selbst aktiv anfeuert. Und im Gegenzug die wenigen Werkzeuge, die wir Nutzende haben, um uns dagegen zu wehren, nach und nach kastriert. Von den Entlassungen in den Moderations-Teams bis hin zu den angedachten Einschränkungen der Block-Funktion – nope. Will ich nicht, brauche ich nicht.

X und soziale Medien im Allgemeinen leben von den Inhalten, die die Nutzenden selbst erstellen. Wenn sich X lieber auf Nazis, Cryptobros und Reaktionäre konzentrieren will, darf die Plattform das selbstverständlich tun. Freies Land und so. Aber dann nehme ich mir auch die Freiheit, zu sagen: Nope, ohne mich.

Ich lösche meinen Account nicht – nicht, weil er schon 14 Jahre existiert und ich eine emotionale Bindung zu ihm habe. Sondern weil verschiedene lieb gewordene Nutzerinnen und Nutzer aus verschiedenen Gründen an X gebunden sind und nur so mit mir, via Direktnachrichten, in Kontakt bleiben können. Wer aber etwas flexibler ist oder es sein kann, der findet mich vorwiegend auf Mastodon. Dort ist zwar auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Community, besonders im deutschsprachigen Raum, kann teilweise sehr forsch auf Regeln pochen, die Neulinge nicht kennen oder deren Sinn fragwürdig ist. Auch dort gibt es nicht nur Rosen und Champagner.

Aber der grosse Unterschied zu X, Bluesky, Threads und was es noch so alles gibt: Ich kann nicht nur nervige Nutzende stummschalten oder blockieren. Ich kann gleich einen ganzen Kuchen von Nervnutzenden auf einen Rutsch blockieren. Und wenn die Instanz, auf der ich zu finden bin, irgendwann untergeht – sei es wegen der Technik, dem Geld oder eben Hass-Idioten wie auf X? Dann kann ich einfach sagen: Nope. Und wechseln, ohne, dass ich gleich 14 Jahre an Verbindungen, (bald) Inhalten und vor allem Menschen zurücklassen muss.

Vielleicht sieht man sich ja im Mastodon-Netz. Vielleicht auch nicht. Aber ich kann wirklich nur jedem und jeder nahelegen – denkt wirklich darüber nach, was X-ehemals-Twitter Euch noch bietet, und bieten können wird. Denn Ausharren und aufs Beste zu hoffen ist unter den gegenwärtigen Vorzeichen wohl eher keine Option.

World Schizophrenia Awareness Day 2023

Am 24. Mai wird jährlich weltweit an Menschen mit Schizophrenie gedacht. Silberne Schleife am Revers und so. Ich lebe im dazugehörigen Formkreis seit über 30 Jahren, ergo: 6 (Fehl)-annahmen über Menschen mit Schizophrenie.

Schizophrenie != gespaltene Persönlichkeit

Der Klassiker. Nope. Komplett anderes Krankheitsbild, I'm sorry, not sorry. In heftigen Fällen, und bei heftigen Anfällen, wird ned dissoziiert, da sind nicht irgendwie Jekyll-und-Hyde-mässig andere Personen da. Die eigene Person an und für sich zerfällt. Das ist nicht sonderlich geil, kann zu Panik führen, und Panik zu Aggression. Aber nope, da ist nicht plötzlich eine «andere Person», es mag nur so wirken.

Schizophrenie == Filterschwäche

In der Hinsicht sind Menschen mit Schizophrenie ähnlich unterwegs wie Autisten, oder Menschen, die sich mit Borderline herumschlagen, oder manche Ausdrucksformen von ADHS. Etwaige Infos, Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen, Ideen kommen gleichberechtigt rein, und das Hirn darf dann versuchen, den gerade angemessenen Pfad zu wählen. Viel Glück.

Schizophrenie ?= gefährlich für Dritte

Okay, es kann natürlich gefährlich werden. Wenn die Welt plötzlich keinen Sinn mehr ergibt bekommt man Angst. Je nachdem, wie man so druff ist, kann man durchaus auch aggro darauf reagieren. Aber rein statistisch gesehen? Nun ja, uhuere viele, viel zu viele, Schizophrene verletzen oder gar töten sich selbst. Die meisten sind schon vor ihrem 40. Lebensjahr weg vom Fenster, entweder tot oder in stationärer Behandlung. Auch deshalb gibt's diesen Awareness-Tag.

Schizophrenie ?= magisches Denken

Ein Kern der schizophrenen Wahrnehmung ist, dass es überall Verbindungen gibt, dass man aber Zwischenschritte in der logischen Kette überspringt. Das kann durchaus dazu führen, dass es vom Umfeld als «magisches Denken» wahrgenommen wird. Lass bei

Butter -> shit, ich hab Bauchweh -> Laktoseintoleranz?

das «Bauchweh» in der öffentlichen Kommunikation weg, und dann ist Butter «Schuld» daran, dass halb Asien laktoseintolerant «ist».

Schizophrenie == Du merkst selbst nix von

Wenn Du drin bist, oder gar in einer voll ausgebildeten Psychose, dann erscheint das nicht als «komisch» oder «krank» oder «ich habe ein Problem». Die meisten Menschen mit Schizophrenie merken nicht, wenn sie in eine Psychose schlittern. Sie wissen nicht mal, dass sie schizophren sind. So ca. 0,3 Prozent bis 1 Prozent der Menschheit sind davon betroffen. Für die Schweiz wären das so um die sagen wir 80'000 Leute. Man könnte also 5x das Hallenstadion mit füllen.

Schizophrenie == uhuere mühsam fürs Umfeld

Ja. Ist so. Das ist der Grund dafür, dass es die silberne Schleife jeweils am 24. Mai überhaupt gibt. Bisserl speziell, aber okay, hätte lieber violett oder so, aber egal.

Wir sind wirklich verdammi anstrengend, und merken es nicht. Der World Schizophrenia Awareness Day ist vorwiegend für Angehörige gedacht. Ergo … Danke euch allen, die ihr Euch tagtäglich mit Schizos herumschlagt. Ich weiss ned, woher ihr die Energie nehmt, aber: Danke dafür.

Wieviele Gigs sollte man als (Cover)-Band spielen?

Ich verfolge schon seit vielen Jahren Diskussionen darüber, wann man als Band ernstgenommen werden kann – beziehungsweise, wie viele Konzerte man im Jahr ausweisen können muss, damit man nicht mehr «nur» als Hobby-Band gilt.

Das Fazit vorweggenommen: Ich sehe nichts schlechtes daran, Live-Musik als Hobby zu betreiben, im Gegenteil. Als Band mit Auftritten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ist die letzten Jahre immer schwieriger geworden. Der Markt ist je nach Region stark gesättigt, das Publikum bekommt seinen Live-Kick jedes Wochenende irgendwo – oder dann an einer Party oder im Pub mit YouTube aufm Beamer. Die Pandemie tat ihr übriges, dass der Karriereweg «von Live-Musik leben» für die allermeisten ein Wunschtraum bleibt. Dann trotzdem mit Herzblut und Leidenschaft Musik zu machen und an die Leute zu bringen? Finde ich grossartig!

Begrifflichkeiten: Pro, Semi-pro, Amateur

Amateur soll nicht abwertend klingen. Gemeint ist damit lediglich, dass man seine Auftritte weder als Nebenverdienst (Semi-pro) noch als Hauptverdienst (Pro) versteht. Und da ehrlich zu sich ist und entsprechend handelt. In diesem Beitrag dreht es sich dabei um die Band, nicht deren Mitglieder – in einer Amateur-Band können auch durchaus Berufsmusikerinnen spielen, ein befreundeter Amateur bei einer Semi-pro-Band aushelfen, weil die Gitarristin beim letzten Gig von der Bühne stürzte und nun zwei eingegipste Beine hat.

Pro Live-Musik

Bei einer Pro-Band ist die Band der Arbeitsgeber, die Firma, in der man selbst Gesellschafter oder Angestellter ist. Die Band ist ein Unternehmen, inklusive verschiedener Einkommens-Streams (Live-Gigs, EP/CD, Merch, Meet-and-Greet etc.), Ausgaben und Abschreiber (Equipment, Verbrauchsmaterial, Roadies, Tontechniker*innen, Lizenzen, Versicherungen etc.) sowie Aufgabenbereiche (Live, EP- und Videoclip-Produktion, Stage-Show konzipieren, Kostüme, Deko, neue Songs schreiben etc.).

Viele Pro-Bands spielen nur ihre eigenen Songs. Damit es sich für eine Cover-Band rechnet, ist man oft als Hochzeits- oder Unterhaltungs-Band unterwegs. Man hat ein Repertoire von 150+ Songs aller Stilrichtungen und ist vorwiegend Hintergrundmusik für einen Anlass wie zum Beispiel eine Firmenfeier. Eine menschliche Jukebox, so zu sagen. So an die 70-150 Gigs im Jahr scheint für viele Bands in diesem Umfeld die Norm zu sein.

… oder aber man produziert eben als Originals-Band alle 1-2 Jahre ein neues Album und geht auf die Festival-Rundreise. Dann reichen auch 30-50 Gigs pro Jahr aus, um zusammen mit den anderen Einkommens-Streams davon leben zu können. In der festivalfreien Zeit arbeitet man halt als Studiomusiker*in oder am nächsten eigenen Album.

Semi-pro Live-Musik

Die Band stellt ein Einkommen neben dem Hauptberuf dar. Das heisst, man macht nicht rückwärts, sondern kommt Ende Jahr zumindest auf eine schwarze Null, was Ein/Ausgaben an Zeit, Energie und Geld betrifft. Mittelfristig verdient man aber genug, dass man’s als Nebeneinkommen in die Steuererklärung setzt und Sozialabgaben bezahlt.

Die Musiker*innen solcher Bands werden oft «Weekend-Warriors» genannt, weil sie fast jedes Wochenende irgendwo auftreten – als Cover-Bands in Bars oder als Originals-Band im Vorprogramm für einen (inter)nationalen Act, der in der Region Station macht. Damit es sich rechnet, sind gemäss verschiedener Umfragen wohl um die 30-50 bezahlte Auftritte pro Jahr nötig. Nicht immer ganz leicht, denn sowohl der Hauptberuf als auch Familie und andere Verpflichtungen müssen mitspielen. Und das muss man sich von der Zeit und vom Geld her leisten können. Also heisst das: fast immer Teilzeit-Hauptberuf, oft selbständig statt im Angestelltenverhältnis, verständnisvolles Umfeld.

Amateur Live-Musik

Hier sind die Auftritte ein Hobby. Es wird nicht versucht, damit Geld zu verdienen; ein Hobby kostet in der Regel Geld, egal, ob man im Verein die grösste Modell-Eisenbahn der Nordostschweiz basteln möchte, Felswände hochklettert oder als Cover-Band auftritt. Rechnet man ehrlich, bekommt man nur in Ausnahmefällen wieder etwas monetär zurück. Man darf nicht erwarten, nur schon eine schwarze Null zu schreiben. Wie gesagt: Menschen geben in der Regel Geld für ihre Hobbys aus. Wenn man für Gigs Honorar erhält, ist’s schön, falls sich das Hobby selbst bezahlt. Damit rechnen sollte man aber nicht.

In diesem Bereich finden sich vorwiegend Cover- und, seltener, Originals-Bands, die oft an lokalen/regionalen Festivals auftreten, mal für einen Geburtstag im Freundeskreis oder einfach aus Lust und Laune selbst ein Konzert auf die Beine stellen. Im Gespräch hat sich ergeben, dass 3-10 Auftritte im Jahr als vernünftig erscheinen, je nachdem, was man spielt und vor allem auch, wo man lebt. Denn da ist ja immer auch die Sache mit der Geografie.

Die Sache mit der Geografie

Ein Problem, das viele unbekanntere Bands zu haben scheinen, ist, dass sie ihr Stammpublikum ermüden könnten. Mehr als 2-3x pro Jahr in derselben Ortschaft oder im Falle der kleinräumigen Schweiz im selben Bezirk hat wenig Sinn – egal, wie befreundet man mit der «Heim-Basis» ist, die Leute kommen nicht alle paar Wochen vorbei, nur, um dann dasselbe Set nochmals zu hören.

Das macht die Situation besonders für Semi-pros schwierig. Mit Hauptberuf und Familie im Rücken öfters auch in Deutschland, Österreich und der Westschweiz aufzutreten, damit genug frisches Blut kommt und man die Fan-Base ausbaut? Und dabei genug verdient, dass sich der Aufwand lohnt? Das ist parallel zum Broterwerb eine Herausforderung. Amateure haben es da einfacher, weil sie sowieso weniger Auftritte «brauchen», um das Hobby für sich zu rechtfertigen. Also reichen 1-2x im Jahr daheim und noch 2-3x extern gut aus.

Ehrliches Rechnen, nicht nur für die Finanzen

Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere Leser, die eine oder andere Leserin oben beim Semi-pro-Teil ausrief: Hey, meine Band tritt zwar nur ein paar Mal im Jahr auf, aber wir werden bezahlt, also sind wir Semi-pro, nicht Amateure! Vorangestellt: Die Etiketten, die ich hier verwende, haben nichts mit der Qualität oder dem musikalischen Können zu tun. Es geht mir rein um den berufstechnischen Ansatz. Nun denn, würde besagte Leserin vielleicht sagen: Ich sehe mich als Schlagzeugerin, und wir bekommen Kohle, also: Semi-pro! Der Eindruck mag auch tatsächlich zum Selbstbild passen. Aber ich denke, öfters ist es der Fall, dass nicht ehrlich gerechnet wird.

Denn: Sind mit diesem Verdienst z.B. Ersatz-Saiten oder das neue Effektgerät für den Bass bezahlt? Oder die Zweit-Gitarre, die man für die drei Songs auf Eb braucht? Wie sieht es mit Anfahrt zum Übungsraum aus, oder zu den Gigs? Verpflegung unterwegs oder vorort? Die Zeit, die für Proben draufgeht – hat man die, weil man im Hauptjob unbezahlten Urlaub nimmt oder als Selbständige*r Aufträge ausgeschlagen hat? Und ist man nach einem Gig am nächsten Tag als Angestellte*r noch voll arbeitsfähig und hat generell genug Energie für die Partnerschaft und Kinder? Ist das Equipment versichert, und wie sieht es mit Folgekosten für gesundheitliche Gebrechen wie «Rücken», Karpaltunnelsyndrom oder Hörschaden aus? Oh, und die Bandraum-Miete bedacht? Steuern bezahlt?

Die Graukosten gehen gerne vergessen

Semi-pro ist man dann, wenn trotz alledem immer noch ein sozialversicherungspflichtiges Einkommen besteht. Und ich denke, bei diesen «Graukosten» verrechnen sich oft viele Musikerinnen und Musiker – auf allen Ebenen, nicht nur bei den Semiprofessionellen. Ob Schülerband oder internationaler Top-Act, oft wird sich die Leidenschaft auch schöngerechnet oder man vergisst die Graukosten an Zeit, Geld und Energie. Ein weiteres Problem beim unehrlichen Rechnen besteht darin, dass man sich verschätzen kann und sich, zum Beispiel als Amateur-Band, übernimmt. Man kalkuliert die Kosten, als wäre es ein Hobby, hat aber die Ambition, so viele Auftritte wie jemand zu stemmen, der oder die davon zumindest zum Teil leben muss. Und weil die Graukosten ausgeblendet werden, denkt man zu schnell, dass es funktionieren könnte.

Das ist meiner Meinung nach auch der Hauptgrund dafür, dass sich viele ambitionierte Bands nach 2-3 Jahren auflösen. Ein Teil der Band findet diese Graukosten angemessen oder ignoriert sie. So kommt man dann zum Schluss, dass es jetzt an der Zeit für den nächsten Schritt wäre, weil, man verdient ja bereits jetzt Geld, mit mehr Auftritten gibt’s auch mehr Geld, logisch, und dann kann man semiprofessionell auftreten und als Opener mit einem bekannten Act auf Europatour gehen und so weiter. Ein anderer Teil der Band sieht die Belastung fürs familiäre und berufliche Umfeld, den eigenen Energiepegel und kommt zum Schluss: Bei allem Spass, auf der Bühne zu stehen, das Jahreshonorar reicht bei weitem nicht aus, um diese Belastungen gesund auszugleichen. Damit sich besagter «nächste Schritt» lohnt, müssten wir statt 4x im Jahr 30x auftreten, dafür müsste ich aber im Job auf 60 % reduzieren, und das lässt meine Firma nicht zu.

Also – was heisst das denn nun für Amateure?

Wie gesagt – ich mag Amateur-Bands; nicht selten finden sich dort bessere Musiker*innen als bei Pro-Acts, die routiniert und gelangweilt jeden zweiten Abend ihr Set runterspulen. Aber um zur titelgebenden Frage dieses (viel zu langen) Beitrags zu kommen – wie oft ist zu oft, oder nicht oft genug, um als (Cover-)Band gut unterwegs zu sein?

Eine Faustregel, die ich vor einiger Zeit gehört und für gut befunden habe, lautet: Ein Auftritt entspricht in Sachen Zeit und Energie sechs Bandproben, und umgekehrt. Probt die Band üblicherweise zwei Mal im Monat, entsprächen diese Proben vier Live-Gigs; da man sich aber mit Proben auf diese Gigs vorbereiten sollte, wären 2-3 Auftritte im Jahr angemessen. Probt man wöchentlich, 4-6 Auftritte im Jahr; wer sich ein Mal im Quartal trifft, kann sich sicher einen kleineren Auftritt im Jahr erlauben. Und hey, das ist nicht Nichts, sondern spielt der Band gegebenenfalls sogar in die Hände. Denn jedes Konzert wird so zum Anlass, zum Event. Die Fanbasis freut sich, die Band endlich mal wieder live zu sehen. Und sagt sich nicht: Och, die treten eh alle paar Wochen live auf, ich guck lieber nächsten Monat mal rein. Heute ist das Wetter zu schön und ich will grillieren.

Würde Metallica jedes Mal das Hallenstadium füllen, wenn die Band 12x im Jahr in der Schweiz wäre? Eben.

Was habe ich 2021 gelernt? — Gesundheit und Wohlbefinden

Anstelle eines ereigniszentrischen Jahresrückblicks möchte ich darüber sprechen, was ich im Pandemiejahr 2021 alles für und über mich gelernt habe. Teil 5 von 5: Gab’s Dinge, die sich auch mit Blick auf Corona in Sachen körperlichem und geistigem Gesamtzustand geändert haben?

Keine Überraschung – im zweiten Pandemiejahr spielte Gesundheit eine zentrale Rolle bei der Frage, was ich denn aus dem Jahr 2021 an Gelerntem mitnehmen möchte. Deshalb beschliesse ich mit dieser Kategorie meinen Rückblick – in der dazugehörigen Liste findet sie sich an erster Stelle. Nun denn!

Schlaf, oh Schlaf, oh so wichtig

Binsenweisheit – der Mensch braucht Schlaf. Einerseits muss sich der Körper erholen, andererseits der Geist. Was ich aber 2021 feststellen musste, ist, dass ich als mittlerweile 46jähriger deutlich häufigere Erholungszeiten benötige, als zuvor. Noch vor fünf Jahren lachte ich etwa über das Konzept des Mittagsschlafs, und so Dinge wie autogenes Training oder gar Meditation waren vielleicht für Menschen in besonderen Lebenssituationen interessant, aber sicher nicht für mich. Dass die App-Stores voller «Mindfulness»-Apps sind? Schlechter Witz!

Nun ja, ihr könnt Euch die Punchline sicher denken. Mittlerweile halte ich an durchschnittlich fünf von sieben Tagen Schläfchen. Und mache meine tägliche Achtsamkeits-Meditation. Am meisten brachte es mir aber, auf guten Nacht-Schlaf zu bestehen. Das müssen nicht einmal acht Stunden sein, so sechs bis sechseinhalb reichen dicke – aber die müssen gut sein. Hier hilft es mir, wenn ich nicht zu spät zu Abend esse. So 6-8 h vorm Hinlegen ist ideal.

Sozialkontakte können ein Grundbedürfnis sein

Eine grosse Überraschung für mich war, wie wichtig Sozialkontakte für mich sind. Mein Selbstbild war immer das eines Eigenbrötlers. «Ich bin allein, aber nicht einsam» war seit der Kindheit mein Lebensmotto. Eine Handvoll enge Kontakte würden mir ausreichen, dachte ich. Da hat mich 2021 eines besseren belehrt. Zufallsbegegnungen und Gespräche sowohl mit Freunden als auch mehr oder weniger entfernten Bekannten geben mir Perspektive, rücken meinen Kopf und meine Position als Teil der Gesellschaft zurecht – besonders während der Corona-Pandemie ein wichtiger Punkt, Stichwort «Bubble». Selbstverständlich sind nicht alle Begegnungen oder Konversationen super, besonders nicht online. Aber offen zu bleiben und es trotzdem zuzulassen, bei Bedarf sogar aktiv zu suchen? Das war etwas, das ich erst lernen musste, so komisch es klingen mag.

Nicht zu lange zögern, wenn etwas rumzickt

Einige haben es mitbekommen, ich verbrachte 2021 vergleichsweise viel Zeit im Krankenhaus. Anfangs Jahr zickten meine Gelenke dermassen rum, dass ich in der Rheumatologie ein und aus ging. Das kannte ich schon, kommt vor. Aber dann spuckten Bauchspeicheldrüse und Gallenblase, nun ja, Gift und Galle. Mitte Oktober durfte ich auf die Notaufnahme, um dann die nächsten acht Tage zwischen drei verschiedenen Krankenhäusern herumgeschoben zu werden. Und, deshalb kam’s auf meine Liste: Das wäre unter Umständen so nicht nötig gewesen.

Denn dass meine Gallenblase immer wieder mal rumzickt(e), gehörte über 10 Jahre lang zu meinem Körpergefühl. War auch medizinisch kein echtes Problem, meinten meine Ärzte. Aber ich habe alle gefährlicheren Warnzeichen ignoriert. Bereits im Juni, Juli wäre eigentlich klar gewesen, dass es sich um mehr als das übliche Rumgezicke handelte. Ich gehe nicht in die Details, aber nun ja, der ganze Notfallzirkus inklusive Operationen, noch dazu mitten in einer Pandemie, hätte ich mir und dem Gesundheitssystem ersparen können. Entsprechend steht nun ganz zuoberst auf meiner Jahresliste: Lieber zu früh als zu spät zur Ärztin, egal, ob es um Körper oder Psyche geht.

Schlusswort

Ja, die Psyche. 2021 war für viele von uns ein schwieriges Jahr. Wir haben Freunde, Bekannte, Familie verloren – oder Rücklagen, oder den Job. Freundschaften gingen in die Brüche. Und auch mit unseren Köpfen stellt die Pandemie-Situation Dinge an, mit denen wir umgehen lernen müssen. Vor einiger Zeit hatte ich dazu geschrieben:

Die psychologische Komponente darf nicht vergessen werden, noch für viele Jahre, nachdem Corona endlich «durch» sein wird. Wir sind individuell und als Gesellschaft aus dem Tritt gekommen, könnte man sagen.

Entsprechend möchte ich auch diesen Jahresrückblick mit einem Infoblock abschliessen:

Falls Ihr Hilfe braucht, hören Euch in der Schweiz telefonisch (u.a.) Pro Mente Sana unter 0848 800 858 und Die Dargebotene Hand via 143 zu. Beide bieten ebenfalls Beratung über E-Mail an, die 143 auch in einem Chat. Pro Mente Sana kann ich persönlich empfehlen, sie haben mir schon vor Jahren durch Krisen geholfen.

Was habe ich 2021 gelernt? — Bass und Musik

Anstelle eines ereigniszentrischen Jahresrückblicks möchte ich darüber sprechen, was ich im Pandemiejahr 2021 alles für und über mich gelernt habe. Teil 4 von 5: Was gab’s musikalisch (im weitesten Sinne des Wortes) für mich zu lernen?

Man kann wohl sagen – die Pandemie gab mir musikalisch einen Schub. Zwar wärmte ich mein Bass-Spiel bereits 2019 zaghaft auf, als Little Red Riding Hoods zum 25-Jahre-Jubiläum aus dem doch sehr langen Dornröschenschlaf aufwachte. Aber richtig Gas gab ich dann 2020 und 2021. Das liegt natürlich insbesondere daran, dass ich bei Scream Therapy endlich wieder regelmässig in einer Band spiele. Aber auch sonst: ich merke, es tut mir gut, wenn ich mich mit Musiktheorie und -Praxis auseinandersetze. Entsprechend war schon 2020 klar, dass «Bass und Musik» eine eigene Kategorie in meiner Lern-Liste bekommen würde.

Live is Life, na naaaa naa na na

2021 war ein wichtiges Jahr in der Hinsicht. Denn ich stand endlich wieder auf der Bühne und ich rief mir so in Erinnerung, weshalb ich eigentlich vor 30 Jahren mit der Bassgitarre angefangen und später Musikwissenschaften studiert hatte. Egal, ob vor 10 oder 200 Leuten – live zu spielen ist ein Erlebnis, das sich nur schwer in Worte fassen lässt. Dass das trotz Pandemie gleich mehrmals möglich war, ist eines meiner Highlights des auslaufenden Jahres.

Zwar merkte ich im Herbst, dass ich echt keine 40 mehr bin und doch meine 4-10 Tage Pause zwischen Auftritten benötige. Aber trotzdem: tut gut, und wenn’s auch dem Publikum Spass macht, dann ist allen geholfen.

Weniger ist mehr

Der junge Erni war ein typischer «Fiedler». Ich spielte viele Noten und komplizierte Riffs, verzierte alles und füllte jede Lücke im Song. Was ich letztes Jahr lernen musste, war, dass weniger tatsächlich mehr ist. Die Lücken definieren die Musik, nicht die Töne. Dasselbe gilt auch bei der Ausrüstung. Auf den ersten Blick wirkt mein Pedalboard alles andere als minimalistisch, aber ich schalte gerade mal drei der Effekte zu, der Rest ist always-on.

Sieht nach mehr aus, als es ist: Mein Pedalboard Ende 2021.

Auch 2022 wird für mich ganz im Zeichen des Reduzierens stehen. Kann ich auf eine Note, auf einen Fill verzichten? Wie viele Bassfrequenzen unter 100 Hertz brauche ich in diesem Raum und auf dieser Bühne, damit es noch nach Bass klingt, ohne, dass es die Biergläser von der Bar rüttelt? Mit Scream Therapy spielen wir ohne Verstärker auf der Bühne, und schon wirkt das recht grosse Pedalboard gar nicht mehr so kompliziert. Denn für uns heisst das live, dass ein Stromkabel rein und ein XLR-Kabel raus muss, fertig. Dinge einfach halten lautet das Motto, eben: weniger ist mehr.

Do or don’t, there is no try

Als Teenager spielte ich ständig, dann immer seltener, Uni und Beruf forderten ihren Tribut. Schlussendlich nahm ich den Bass nur noch zur Hand, wenn eine meiner damaligen Bands probte. Grosser Fehler! Was ich letztes Jahr lernte, ist, dass täglich 10-15 Minuten zu üben mehr bringt, als ein Mal die Woche für zwei Stunden. Aber man muss es halt auch tun.

Ähnliches gilt in Sachen Vorbereitung. Niemandem ist geholfen, wenn man als Band einen neuen Song spielen will, aber dann seinen Part nicht kennt. In dem Fall sagt man lieber: Sorry, ich kann das noch nicht, ich übe den Song auf nächste Woche ein. «Üben» ist hier das Stichwort. Die Bandprobe ist nicht der Moment, um Bass zu üben. Das macht man daheim. In der Band probt man. Dann verschwendet man auch nicht die Zeit seiner Band-Kolleginnen und -Kollegen.