Neuneinhalb Wochen, oder: iPad-only? Durchaus möglich.

Seit neuneinhalb Wochen bin ich sowohl beruflich als auch privat (fast) ausschließlich mit einem iPad Pro unterwegs. Zeit für ein kurzes Zwischenfazit.

Ich liebe Computer. Ich bin das, was manche wohl »Geek«, andere »Nerd« und eher ältere Semester eventuell »Freak« nennen würden. Meinen Einstieg hatte ich mit einem mit Lötkolben übertakteten Commodore CBM 4032, richtig angefixt hatte mich dann der Amiga 2000, den ich mit einer unglaublich großen 40-MB-Festplatte für 1000 Franken und später einer superschnellen 68030er-Turbokarte (mit Co-Prozessor!) ausbaute. Meine ganzen Uni-Papers schrieb ich dann auf einem Acorn Archimedes 5000, später kam der unausweichliche Wechsel auf Windows XP, was allerdings schnell Linux weichen musste. 2006 benötigte ich mein erstes Notebook, Linux war damals dann auch für mich doch zu viel Gebastel, also wechselte ich Vollzeit auf Macs. Das Internet war für mich 1996 eine Offenbarung gewesen, und die technischen Möglichkeiten und Konzepte anno 2017 lassen mich manche Bände aus meiner Science-Fiction-Sammlung liebevoll, wenn auch ein bisserl mittleidig, streicheln.

Alte Dinge auf neuem Ding anstarren. Läuft.
Alte Dinge auf neuem Ding anstarren. Läuft.

Ich hasse Computer. Ich muss arbeiten, aber dann poppen Fenster auf, die Updates ankündigen. Ich soll einen Video ins Netz stellen, aber es wurde in einem komischen komprimierten USB-Stick-Dateiformat angeliefert und ich darf zuerst mal eine passende App für suchen, finde sie auf einer obskuren Website, die im GeoCities-Flair der 90er stecken geblieben ist. Irgendwie vertragen sich andere über Jahre angesammelte Tools nicht mit dem letzten OS-Update, aber ich habe die Dinger halt seit Monaten nicht mehr gestartet und merke es erst jetzt, kurz vor der Deadline. Irgend ein Dienst, der sich anno 2011 bei der Installation einer externen Festplatte installiert hatte, stürzt ständig ab und müllt mir die Konsole zu, obwohl ich alle auffindbaren Programmfragmente schon vor Jahren gelöscht habe und die Festplatte ebenso lange nicht mehr im Einsatz gewesen ist. »Clean Install« wäre mal endlich nötig, zum Glück habe ich mir über die Jahre einen komplexen mehrstufigen Backup-Ablauf angewöhnt, der mich pro Monat nur wenige Stunden Aufwand kostet.

Nun ja. Das als Hintergrund, ein Woher-der-Erni-kommt. Ich hätte auch kürzer schreiben können: Mich nerven Computer so sehr, wie ich sie liebe. Über die Jahre habe ich immer häufiger Dinge auf mehr oder weniger aktuellen iPads erledigt (incl. den Entwürfen für meine zwei Sachbücher). Im Sommer stellte Apple die zweite Runde an iPad Pros vor. Mein damaliger mobiler Hauptrechner hatte zwei Wochen zuvor eine dramatische Batterie-Blähung erlebt. Tja.

Zwischenstand: iPad-fast-only nach gut zweieinhalb Monaten

Löbbt. Das liegt weniger am iPad selbst als daran, dass es heute einen Haufen Dienste gibt, mit denen man Dinge online erledigt bzw. erledigen kann. Redaktionssysteme, komplette Office-Suiten, eBanking, Web-Apps, Streaming-Services helfen viel. Ebenso das Umdenken unter Nutzern; kollaborative Werkzeuge wie Slack oder Google Docs lösen langsam auch in leicht angekalkten Unternehmen und Redaktionen Mail und Telefon ab. Als Fotograf bin ich bei weitem nicht mit den Datenmengen konfrontiert, die ein Video-Mensch täglich bewältigen muss, für Zeitungsartikel sowieso nicht, und die aktuellen iPads sind zumindest auf dem Papier eh schon schneller als meine stationären Rechner – bei der Android-Fraktion dürfte es nicht so viel anders aussehen. Heute sind auf Tablets oder gar Handys Sachen möglich, wo ich noch vor 10 Jahren ein »richtiges« Notebook als Witz tituliert und nach einer dicken Workstation verlangt hätte. Über die letzten Jahre kam dann im Software-Bereich auf iOS genug zusammen, dass der Schritt zumindest theoretisch für mich möglich wurde. Dinge wie Wifi-Festplatten und -Drucker oder der Apple Pen auch nicht zu vergessen. Heute arbeite ich am iPad so:

  • Schreiben: Ulysses
  • Raw-Entwicklung und Bildbearbeitung: Affinity Photo
  • Bildverwaltung: Mylio, wird aber von Pixave abgelöst
  • Dokumentenverwaltung und Recherche-Archiv: DevonThink (wie auch schon seit Jahren aufm Mac)
  • Web: Safari und Chrome

Jo. Und das tut zumindest für mich als freier Fotoreporter rund. Das iPad Pro hat mit Zubehör etwas mehr als die Hälfte dessen gekostet, was mich ein neues für mich sinnvolles MacBook Pro gekostet hätte (incl. neuem Wacom-Tablet, da das alte langsam auch die Grätsche macht). Manche Dinge sind umständlicher (Fotoarchiv), andere viel einfacher (Backup und mobiler Einsatz). Eine Akkuladung hält bei mir rund 12 Stunden Einsatz plus nochmals so 24h Standby durch. Das Ding tut einfach, was es soll. Und ein bisserl Gamen liegt zwischendurch auch noch drin.

Back to the Future. Oder so.
Back to the Future. Oder so.

Das »fast«

Komplett auf einen »richtigen« Computer kann ich allerdings nicht verzichten. Die Steuererklärungs-Software des Kantons St. Gallen z.B. hätte gerne eine Java-Installation. Meine Mittelformat- und Diascanner mögen Wifi genau so wenig wie mein A3-Fotodrucker. Capture One Pro ist immer noch meine erste Wahl, wenn ich mehr als ein halbes Dutzend Fotos entwickeln und bearbeiten muss, und eine iOS-Version ist z.Z. weder technisch noch strategisch möglich. Und als freier Autor für Heise muss ich bei klassischen Rechnern am Ball bleiben, und sollte Soft- und Hardware nicht einfach nur kurz angucken, sondern damit auch richtig arbeiten. Und so weiter.

Für mich hat sich die letzten Monate so etwas wie ein Computer-Paretoprinzip ergeben: 80 % dessen, was ich digital so machen will oder muss, geht mittlerweile problemlos auf dem iPad, manchmal unkomplizierter und schneller als an einem »richtigen« Rechner. Bei den letzten 20 % jedoch steigt der Aufwand exponentiell an, es wird schnell supermühsam – oder gar unmöglich.

Ist das dramatisch oder ein Grund, das Experiment »iPad als Hauptrechner« ad acta zu legen? Meiner Meinung nach nicht, und seit geraumer Zeit versuchen sich viele Andere am selben Experiment – vom Fotografen bis zum Thriller-Autoren. Aber vielleicht wäre Ko-Existenz auch nicht verkehrt – verschiedene Werkzeuge für verschiedene Dinge. Ich schraube ja auch keine Regale mit dem Hammer an die Wand, oder ritze Artikel mit einer Spiegelreflexkamera in Steintafeln. Aber für meine aktuell verbleibenden 20 % reicht ein steinaltes Notebook dicke aus, für die Hälfte dieses Fünftels hab ich einen Server aufgesetzt und greife vom iPad – selten – via Screens und FileBrowser darauf zu. Und die andere Hälfte? Da ist’s kein Problem, mich halt doch mal für ein paar Stunden an den Mac zu setzen.

Auch wenn ich dabei mittlerweile laut aufstöhne und mich über Dinge ärgere, die mir die letzten Jahre nie aufgefallen wären oder mich irritiert hätten.

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