Wie zum Geier wird man freier Texter?

Vielleicht haben Ihnen meine früheren Beiträge den Mund wässrig gemacht? Und voller Enthusiasmus fragen Sie sich nur noch eines:

Das ist ja großartig! Aber wie wird man freier Texter?

Na, dann will ich mal nicht so sein und Sie Ihrer Illusionen berauben. Nein, nein. Höchstwahrscheinlich werden Sie zufrieden damit sein, was ich hier in diesem Text von mir gebe. In diesem viel zu langen Text. Meine ehemaligen Chefs würden mir ob der Länge („Und das im Internet???“) jedenfalls den Kopf abreißen.

Also.

Die allermeisten freien Texter rutschen ins Business rein. Ganz ohne Ausbildung, Diplom oder Studium. Einfach weil sie halt sprachlich begabt sind und gerne auch etwas Geld verdienen würden, abseits von Tantiemen für Bücher und Artikel. Oder sie haben überhaupt keinen Sinn fürs literarische oder journalistische Schreiben, dafür aber eine feine Nase für Marketing und Werbung. Oder sie können komplizierte technische Sachverhalte einleuchtend erklären. Interesse, Persönlichkeit und eine gewisse Begabung kommen immer zuerst.

Eine staatliche Ausbildung zum Texter, oder gar ein Texter-Studium, gibt es in Deutschland und der Schweiz zur Zeit nicht. Lediglich private Ausbildungen, wie zum Beispiel die Kurse der Schreibszene. Was nicht heißen soll, dass diese Kurse und Diplome sinnlos wären, ganz und gar nicht! Insbesondere für Quereinsteiger sind sie nützlich, werden doch die Grundlagen vermittelt, die man sich sonst per Trial-and-Error selbst erarbeiten müsste. Aber typisch ist eine solche Ausbildung (noch) nicht.

Wie läuft also eine „typische“ Karriere ab? Oft beginnt sie in einer Medienagentur. Besonders zukünftige Werbetexter zieht es zu Agenturen wie Fliegen zum Mist. Weshalb auch nicht? Man bekommt den wohlklingenden Titel „Junior Texter“, verdient etwa so viel wie ein Praktikant in der graphischen Abteilung und darf die Arbeit der „Senior Texter“ übernehmen, die gerade Snowboard fahren. Toll!

Aber wir wollten ja von freischaffenden Textern reden, nicht von den Agenturisten. Wie läuft es bei ihnen ab? Einige freie Texter hatten einfach die Nase voll vom Agenturleben und machten sich selbständig. Verständlich. Der Großteil jedoch kommt „quer“ ins Business. Zum Beispiel, weil sie als Marketing-Assistent in der Firma auch immer wieder Medienmeldungen geschrieben haben. Oder weil sie von Natur aus blubbern können.

Oder aber, weil sie aufgrund einer schriftstellerischen Tätigkeit immer wieder angefragt werden, ob sie nicht auch die Texte für eine Website tippseln würden. Offensichtlich könne man ja schreiben, also kann man sicher auch einen Einführungstext für den Webauftritt einer Zahnarztpraxis verfassen?

Gut erkannt, aufmerksamer Leser! Jetzt kommt die Sache mit der Branche, die ich im letzten Artikel angesprochen habe.

In der Vergangenheit nahm ich alle möglichen Aufträge aller möglichen Unternehmen an. Egal, ob es um Trockenwände oder Hollywood-Filme ging, um ein Mode-Label oder eine Consulting-Firma. Nun ja. Das war nicht wirklich der beste Ansatz für mich.

Wenn man wirklich für alle Branchen schreiben will – im besten Fall erweitert man seinen Horizont. Aber im Normalfall vergeudet man viel Zeit mit dem Aufarbeiten von Grundlagen, die für den Spezialisten glasklar sind. Und liefert oft schlechtere Resultate ab als ein spezialisierter Texter. Was der Kunde spätestens dann bemerkt, wenn er die Websites der Konkurrenz durchblättert.

Sollen sich freischaffende Jungtexter also streng auf ausgewählte Branchen konzentrieren? Ganz so strikt würde ich es jetzt doch nicht sehen. Man muss ja zuerst einmal die Branchen kennenlernen, bevor man sagt: „Bäh, ich schreibe keine Werbetexte für Rasenmäher!“ Aber die Stoßrichtung stimmt schon: Es ergibt durchaus Sinn, dass man sich genug Wissen in bestimmten Bereichen aneignet, ohne aber Scheuklappen vor anderen Branchen aufzusetzen. Man ist in „seiner“ Branche automatisch speditiver, verdient so unterm Strich mehr Geld und liefert professionellere Resultate ab als ein (durchschnittlicher) Allrounder.

Aber, das muss ich zugeben: Als Allrounder lernt man die Abwechslung schätzen. Und falls es mit der Freischafferei doch nicht klappen sollte, hat man wenigstens ein breites Portfolio und beeindruckt die Agenturen. Und kann gegebenenfalls gleich als „Senior Texter“ einsteigen. Und auch Snowboarden gehen.

Wie ich es selbst handhabe? Nach Ermessen. Wenn mich ein Thema, eine Branche interessiert, nehme ich auch unbezahlte Recherchen und autodidaktische Weiterbildung in Kauf. Aber ich sage mir bei jedem, hmm, branchenfremden Projekt:

Ein Tischler legt ja auch nicht den feuchten Keller trocken. Was bei unserem Tischler vielleicht auch ganz gut so ist.

Dieser Artikel erschien erstmalig am 19. September 2008 im Forum der Schreibszene Schweiz.

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