Von Disziplin und einem doofen Fotokalender.

Als Freischaffender ist Disziplin nicht unwichtig: Termine sollte man einhalten, und es ist unangenehm, von erbosten Kunden-Mails wachgerüttelt zu werden. Aber in der Kreativ-Branche ist das nicht immer ganz einfach.

Wir alle verzetteln uns zwischendurch, verschlampen Deadlines oder übersehen eine Mail mit einer Terminänderung. Ist nur menschlich, da helfen die ausgeklügeltsten Computer- oder Papiersysteme nur wenig. Kann passieren.

Nach über einem Jahrzehnt in der »Kreativ-Branche« glaube ich aber mittlerweile, dass genau in dieser Branche das, hmm, Verschlampungspotential ausgesprochen groß ist. Viel größer als zum Beispiel im kaufmännischen Bereich. Ich denke, dass daran zwei Punkte mitverantwortlich zeichnen:

  1. Inspiration hält sich nicht an Büroöffnungszeiten, auch wenn man mit mehr oder weniger lustigen Techniken etwas nachhelfen kann.
  2. Die Möglichkeiten zur aktiven Prokrastination sind vielfältiger als in anderen Berufszweigen.

Die Kombination aus diesen zwei Punkten zeigt sich im kreativen Umfeld besonders zerstörerisch. Einerseits ist man Spielball zwischen den Polen »Handwerk« und »Kunst«. Ein Großteil der Arbeit ist reines Handwerk, egal, ob man mit Schreibmaschine, Kamera oder Farbfächer hantiert. Aber das Ergebnis soll auch das gewisse Etwas haben, diesen Funken, der es aus der Masse hervorhebt. Das gilt besonders für Freischaffende, denn die Konkurrenz von Agenturen und anderen Freelancern ist riesig. Manchmal entscheidet dieser eine Geistesblitz darüber, ob man sich die nächsten Monate von Tütensuppen ernähren darf oder den Kühlschrank mit Prosecco vollstellen kann.

Nicht wenige »Kreative« definieren sich deshalb als ebensolche und richten ihr halbes Leben darauf aus, dass sie »Kreative« seien. Und dazu gehört für viele eben auch der Mythos des Geistesblitzes, Heureka! und so weiter. Besagter Blitz kann immer und überall einschlagen, aber halt nicht immer dann, wenn es gerade in den Zeitplan passt. Ich kenne Kollegen, die aus diesem Grund selbst auf dem Klo Stift und Notizbuch bereitliegen haben, frei nach Barkers legendärem Spruch »Inspiration und Defäkation liegen nahe beieinander« (Clive Barker, Cabal, 1988).

So, und jetzt kombinieren wir den kreativen Heureka!-Jäger mit einem Haufen Ablenkungsmöglichkeiten. Man müsste endlich das Manuskript abschließen, noch einmal lässt sich der Kunde nicht vertrösten, aber dann liegt in der Briefpost das neue [Magazin-Titel einsetzen], mal kurz durchblättern, vielleicht inspiriert mich ja etwas … Und schon ist wieder eine Stunde um und man war noch nicht mal auf der Toilette.

Wenn man Inspiration immer und überall erwartet, braucht es nur einen kleinen Schritt, dass man sie auch immer und überall sucht. Selbst Küchenputzerei, Kommentarspalten von Online-Zeitungen, eine Einladung zum Besäufnis Treffen mit Schulkameraden oder das Testen neuer Software werden dann attraktiv. Man weiß ja nie, wo der Blitz einschlägt …

Das einzige Mittel, das mir hier hilft, ist das Setzen von dicken DEADLINES. Im Idealfall sind diese zusätzlich an Sachzwänge gebunden, an denen ich rein gar nichts ändern kann, ohne gleich das ganze Projekt abzublasen. Und je mehr Leute davon wissen, um so größer der notwendige (soziale) Druck, damit mir die Deadline nicht »entfällt«.

Entsprechend ein aktuelles Anschauungsbeispiel:

Der Fotokalender zu den »vergesellschafteten Getränken« 2014 kommt! Anfangs Dezember wird er verschickt! Ganz ehrlich!

Einerseits schreibe ich das natürlich auch als Werbung für den Fotokalender zu den Publicised Drinks. Andererseits schaffe ich damit eine Verpflichtung den Fans gegenüber – jetzt habe ich das Scheißding Werk hochoffiziell angekündigt, kneifen ist nicht. Interessenten können den Kalender gerne per E-Mail unverbindlich vorbestellen. Unverbindlich, weil der Erni noch immer im Tran ist und sich die letzten Monate Inspiration gesucht um die Kalkulation herumgedrückt hat. Aber teurer als maximal CHF 25.— will ich ihn echt nicht verkaufen müssen. Dann gibt’s eher statt A3 nur A4 und gut ist. Details folgen nächste Woche.

Da es nur wenig Sinn hat, einen Fotokalender erst im Januar 2014 zu verschicken habe ich so oder so den benötigten Sachzwang: Die Welt wird Silvester nicht verschieben, nur weil der Erni noch ein paar Tage für seinen doofen Kalender braucht. Und falls die vergesellschafteten Getränke unter den Weihnachtsbaum sollen bringt es auch wenig, wenn ich erst am 20. Dezember liefern kann. Deadline steht, sozialer Druck ist da, Sachzwang ebenso – kann nur gelingen.

So, aber jetzt putze ich erst einmal die Küche.

3 Gedanken zu „Von Disziplin und einem doofen Fotokalender.“

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