Über Verlage, Autoren und Liebhaberei.

Im Mai/Juni erscheinen zwei meiner Kurzgeschichten in einer Doppel-Anthologie, im Herbst sollte noch eine dritte folgen. Horror-Zeugs. Nischen-Zeugs. Aber die ideale Zeit, mich mal zum Aspekt »Spartenliteratur« zu äußern.

Belletristisch bewege ich mich wie viele Genre-Kolleginnen und -Kollegen im Umfeld der Klein- und Kleinstverlage. Mein jetziger Verlag p.machinery geht gerade die Finanzamtprüfung durch, ob es sich um eine »Liebhaberei« oder ein »echtes Unternehmen« handelt. Das ist in diesem Umfeld nicht ungewöhnlich: Mit so genannter Genre-, Nischen- oder Spartenliteratur lässt sich nur in Ausnahmefällen groß Umsatz oder gar Gewinn machen. Die Situation des Verlags ist vergleichbar mit der von Freischaffenden. Stichwort »Scheinselbständigkeit«.

Die Großverlage, die den Bereich Horror und Phantastik im deutschsprachigen Raum beherrschen, tun dies vorwiegend über den Lizenzeinkauf: Ein bereits erfolgreiches Buch, oft angelsächsischen Ursprungs, wird übersetzt und auf den Markt gebracht. Man weiß, dass entweder der Name (z.B. Stephen King) zieht oder kennt konkrete Verkaufszahlen aus den USA (z.B. die Twilight-Serie). Entsprechend teuer sind solche Lizenzen – dafür reduziert der Verlag sein unternehmerisches Risiko. Dasselbe Phänomen findet sich bei Thrillern und Krimis, neuerdings auch bei Nackenbeißern und »Mommy Porn«. Leisten können sich solche Lizenzen nur die größten der großen Verlage. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Aus Autorensicht ist das natürlich ziemlich doof. Du kannst das beste Horrormanuskript aller Zeiten schreiben, wirst du nicht von einem Agenten oder Lektor »entdeckt« kommst du nicht bei den großen Verlagen unter, verdienst entsprechend kaum Geld damit und kannst früher oder später die Schreiberei höchstens noch als Hobby betreiben. Wenn es Dir nicht ganz vergangen ist. Die tatsächliche Qualität oder Marktchance der Texte ist dabei sekundär, der Selektionsprozess im Eingangslektorat der größeren Verlage beruht auf Einschätzungen, die durchaus auch mal daneben liegen können.

Zufall hat mehr Einfluss aufs Endergebnis; J.K.K. Rowling beispielsweise wurde von zwölf Verlagen abgewiesen, erst ein Jahr später erbarmte sich ein Lektor. Den Rest der Geschichte kennen wir. Obwohl ich es noch interessant finden würde, eine Doku über die Eingangslektorinnen und -Lektoren zu sehen, die ursprünglich Harry Potter abgelehnt hatten. Ich tippe auf einen Haufen Szenen, in denen Schelte von der Verlagsleitung, Alkohol und der eine oder andere Selbstmord vorkommen. Aber ich schweife ab.

Kurz gesagt landet man als, aus überregionaler Sicht, unbekannte Autorin fast immer bei Klein- und Kleinstverlagen. Mit Glück stolpert eine Agentur oder der Lektor eines größeren Verlags über die Texte und erkennt etwaiges Potential. Experimente lohnen sich für viele Verlage nicht, besonders die börsenkotierten müssen ihren Investoren und Aktionären Red und Antwort stehen.

Zusätzlich gilt: Je enger die Nische des Textes und je unbekannter der Name auf dem Einband sind, desto geringer ist die Chance auf eine Veröffentlichung in einem Publikumsverlag. Als Mystery- oder Horror-Autor konkurriert man aus Sicht dieser Unternehmen nicht mit anderen unbekannten Schreiberlingenden, sondern mit Clive Barker, Wolfgang Hohlbein und toten Menschen wie H.P. Lovecraft. Wahrscheinlich hätte ein Horror-Manuskript von Dieter Bohlen die besseren Chancen auf einen Heyne-Vertrag als das Manuskript einer genialen aber unbekannten Autorin.

Das heißt auch, dass sowohl Kleinverlage oft Kleinverlage bleiben (und sich zwischendurch besagter Prüfung durch das Finanzamt stellen müssen), als auch die Mehrzahl der Autoren und Autorinnen nie vom Schreiben leben können wird. Dies gilt besonders für Kurzgeschichten und Gedichte. Selbst bei 10% Tantiemen vom Verkaufspreis und fabulösen 2.000 verkauften Büchern bleibt bei 8 Co-Autoren plus Herausgeberin nicht mehr viel übrig.

Und die Internet-Revolution? Hä? Vergessen?

Aber ja, da gibt es ja noch dieses eigenartige #Neuland, in dem Leute mal kurz ganze Bücher veröffentlichen, ohne Gewinnabsicht. Geschichten wie Fifty Shades of Grey erschienen zuerst als eBook im Eigenverlag, andere Autoren und Autorinnen veröffentlichen ausschließlich eigenständig auf Online-Plattformen, da sie kein Interesse an der marktwirtschaftlichen Denke der großen Verlage haben. Manche können als »eBook-Independent« sogar vom Schreiben leben, auch wenn es dann später vielleicht doch zu einem »ordentlichen« Verlagsvertrag kommt. In diesen Fällen mögen Finanz- und Sozialamt nicht an einer Überprüfung des Status interessiert sein. Aber solche Fälle sind rar.

Denn auch im Netz gilt: Man muss in der Fülle des Angebots gesehen werden. Menschen, die Geld ausgeben können oder Verträge ausstellen wollen müssen dich erst einmal wahrnehmen. Der Publikations-Prozess wurde stark demokratisiert, ja. Aber das heißt auch, dass sich im eBook-, Print-on-Demand- und Blog-Bereich eine Ansammlung von nicht so dollen bis absolut grauenhaften Manuskripten findet – neben den herausragenden Geschichten. Hier den Überblick zu behalten ist schwierig.

Unterm Strich heißt das also für uns hoffnungsvolle Schreibende: Es hat sich nichts geändert. Entweder ein Text findet, oft durch Zufall, sein Publikum, oder eben nicht.

Wenn »früher« Agentinnen und Verlagslektoren die Torwächter waren und definierten, was überhaupt in den Bücherläden zu finden sein konnte, dann erfüllt in Zukunft vielleicht die Literaturkritik dieselbe Funktion. Im Kindle-Store finden sich fast eine Million Bücher, Tendenz stark steigend. Ob das System »Leute, die das gelesen/gekauft haben, haben auch DAS gekauft« funktionieren wird? Nutzer rezensieren Bücher auf Plattformen – reichen Sternchen auf Amazon, um in der Masse aufzufallen? Vielleicht werden sich gewisse Aggregatoren oder Einzelpersonen als Kritiker hervorheben, vielleicht wird das Feuilleton der Zeitungen wieder wichtiger?

So oder so – wenn wir Spartenleute uns die letzten Jahrzehnte die Zähne am Eingangslektorat oder bei Agenturen ausbissen, so machen wir das heute an der Verfügbarkeit konkurrierender Angebote. Auf eine Karriere hinarbeiten ist schwierig, vielleicht sogar unmöglich – ohne Beziehungen und/oder Glück kann es nicht funktionieren. Lovecraft hatte ich bereits angesprochen – heute konkurrieren Phantastik-Autoren im deutschsprachigen Raum mit Übersetzungen seiner mittlerweile gemeinfreien Original-Texte. Dabei ist er mit 46 Jahren verstorben. Verarmt.

Kurz: Als Autorin oder Autor der Nischenliteratur sollte man sich nicht fragen, ob man mit einer Veröffentlichung den »Durchbruch« schaffen könnte. Denn der Faktor Glück spielt eine zu große Rolle, als dass man darauf bauen könnte. In der Flut von Neuveröffentlichungen nach oben zu schwimmen kann man sich erhoffen, darauf sein Leben aufzubauen bringt allerdings wenig.

Als Leserin oder Leser sollte man sich nicht zu sehr von der Allgegenwart einiger Verlage und Verlagsgruppen ablenken lassen. Nur, weil ein Buch bei den Großen herauskommt muss es nicht »gut« sein. Natürlich auch nicht »schlecht«, aber die Chancen stehen besonders bei Nischen gut, dass es sich um die Reiteration eines bekannten Konzepts und/oder einen Lizenzkauf handelt. Anders rum heißt Klein(st)-Verlag nicht automatisch: Coole Bücher! Aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass man dort die schrägeren Sachen finden wird. Statt des tausendsten Dan-Brown-Klons.

Ob und wie beide Seiten, Lesende und Schreibende, die Gewichtung oder gar Selektion vornehmen werden ist offen. Das ist eine gesellschaftliche Debatte. Werden Literaturkritiker wieder relevanter, um das Publikum durch den Sumpf von heute jährlich rund 80.000 Neuerscheinungen alleine in deutscher Sprache zu führen? Will das Publikum überhaupt geführt werden? Oder werden neue »Gatekeeper« wie Aggregatoren oder Leser-Rezensionen eine Vorselektion vornehmen? Wären solche Selektionsmechanismen, realistisch betrachtet, überhaupt relevant?

So oder so wird es wohl immer Autorinnen und Verlage geben, die sich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie »nur« einer Liebhaberei folgen, oder echte »Unternehmer_innen« sind. Ich muss zugeben, dass ich diese Frage im Kontext einer Liebhaberei wie dem »Lesen von Horrorstories« ziemlich lustig finde.

5 Gedanken zu „Über Verlage, Autoren und Liebhaberei.“

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