Diese Glosse ist eine Fortsetzung meines Auswurfs über Arbeitswerkzeuge für Texter. Jetzt jedoch möchte ich mich auf den schriftstellerischen Aspekt konzentrieren. Denn schließlich lesen hier auch geschundene Autoren mit, und da ich die letzten Monate fast ausschließlich so mein Bier zu finanzieren suchte … Ja, das wird ein Artikel, der ein wenig aus dem Rahmen fällt. Auch in der Länge, wofür ich mich entschuldige. Aber es liegt mir am Herzen.
Bier, aha. Ich rieche die redselige Umarmung des Alkohols!
Nein. Aber es bestehen Unterschiede zwischen dem, was ein rein-kreativer Schreiberling benötigt und dem, was ein Auftragstexter im Griff haben sollte. Ganz ehrlich gesagt – das hier ist eine Liebeserklärung. Ja, eine Liebeserklärung. An Katzenkotze.
O…kay … hrm … jo … Mach ma …
Anders als das Jammern der dienstleistenden Textarbeiter klingen die Wehklagen der künstlerischen Schreibenden weniger nach „Argh! Muss was Marktkonformes einreichen!“ sondern mehr nach „Mich lenkt alles ab!“ Zumindest, wenn man zahlreichen Beiträgen in Print und Web Glauben schenken möchte.
Daraus entwickelte sich auf verschiedenen Computersystemen eine regelrechte Industrie der ablenkungsfreien Schreibumgebungen. Sei es das Spartanische von myTexts, der an Matrix erinnernde Charme von WriteRoom oder der Zen-Ansatz wie jüngst bei Ommwriter zu finden – Kreative wollen offenbar nicht abgelenkt werden. Selbst Apple machte bei der aktuellen Version ihrer Textverarbeitung Werbung damit: Vollbildansicht des Textes ohne blinkendes Gedöns oder auch nur der Uhr im Blickfeld.
Wurde hier ein echter Bedarf des digitalen Schreiberlings entdeckt? Oder eine Marktlücke erschaffen? Der Zyniker in mir sagt sich: Nun ja, man könnte die ganzen Chat-Programme, Mail-Prüfer und lustigen Animationen auch einfach ausschalten. Oder das Internet-Kabel abziehen. Wo liegt das Problem?
Das „Problem“ ist einfach zu identifizieren, wenn man sich nicht vom ganzen Hightech-Shit (in memoriam George Carlin) beeindrucken lässt: Die meisten Autoren wollen konzentriert und in sich versunken arbeiten. Nur so stellt sich der vielbeschworene Flow ein. Dieser beinahe mystische Zustand, wo man seine Umgebung kaum noch wahrnimmt und eins mit dem Universum wird. Oder zumindest mit seiner Arbeit. Oder der Katze, die hypnotisch nach dem nächsten Anti-Kotz-Keks miaut. Aber ich schweife ab.
Genau hier gehen mir diese ganzen Programme nicht weit genug. Man mag das Aussehen eines Computers aus den 70ern kopieren können, auch noch Schreibmaschinengeräusche oder wie bei Omm komische pseudoasiatische Musik abspielen. Die Schreibenden sitzen noch immer an einem Computer. Man tippselt. Man verwendet ein Gerät, das als die Kommunikationszentrale des modernen Menschen gilt. Dabei will man die Kommunikation ja selbstbezogen halten. Kleinhirn an Leber, Kleinhirn an Leber, mehr Alkohol! Oder so.
Eine Liebeserklärung an den Alkohol? Also doch!
Nein. Man mag von solchen Substanzen halten, was man will. Jedoch: Das hier ist eine einfache, schon fast rustikale Liebeserklärung.
An Notizbuch und Stift.
Will man ohne Ablenkung schreiben, seine kreativen Ergüsse ohne informationelles Kondom respektive kommunikative Pollution aufs Papier bringen, dann geht nichts über Papier. Man mag sich mit komischen Programmen für viel Geld vom Internet und tickender Uhr abschotten; der Thesaurus und der Wikipedia-Download und die Rechtschreibkorrektur liegen immer noch viel zu nahe. Man weiß es und reagiert instinktiv so: Jo, wenn mir das Wort nicht einfällt, muss ich ja nur klicken. Man ist in einem Kontext gefangen, wenn ich ein bisserl GTDish von mir geben darf. In einem Locus, um literaturwissenschaftlich zu bleiben. Wer jetzt Assoziationen zur Defäkation hat, der darf sich bestätigt fühlen.
Also wie jetzt???
Schreibt man einen „Roman, der dem ästhetischen Prinzip der Intertextualität folgt“ (frei nach Hegemann bzw. Ullstein) ist man darauf angewiesen, schnell und bequem Material zu finden und sein eigenes Getippsel damit abzugleichen. Klar. Aber nicht nur in der Psychoanalyse zählen die Gedanken, die aus einem selbst sprudeln, unzensiert und ohne Kontext abgesondert werden, oft mehr. Schriftsteller wollen doch ihre eigenen Gedankengänge, wie wirr sie auch sein mögen, niederschreiben, oder? Unbeeinflusst? Letzteres zumindest ist die Existenzbegründung für einen ganzen Haufen Software da draußen. Und auch für lobenswerte Dinge wie das Novemberschreiben oder den NaNoWriMo: Man soll den inneren Zensor ausschalten. Also weshalb macht man vor dem äußeren halt?
Ergo: let’s go old-fashioned! Gutes Notizbuch her, Stift her. Fertig. Persönlich bevorzuge ich die Produkte dieser italienischen Firma, die sich auf eine französische Marke beruft, die ein amerikanischer Schriftsteller populär machte. Und Kugelschreiber deutscher Provenance. Andere kommen mit norwegischem Papier und Schweizer Filzschreibern weiter, wieder andere stellen nichts über den HB-Bleistift aus der Papeterie, die schon zu Kindheitszeiten das schönste Schaufenster hatte. Das mit den Elchen aus Pappmaché und dem vielfarbigen Karton aus dem Künstlerbedarf. Aber ich schweife schon wieder ab.
Krämpfe gehören dazu, logisch. Wer die letzten zehn Jahre nur mit chinesischen Plastiktastaturen zu tun hatte, statt sich um fernöstliche Kalligraphie zu bemühen, wird Mühe haben. Erträgt man die ersten Schmerzen und schmeißt Magnesium ein, tun sich aber Welten auf.
Die eigenen Welten. Losgelöst vom literarischen oder orthographischen oder kommunikativen Kontext. Ganz ohne Kon-, nur -Text.
Ich war überrascht, wie viel freier ich so schreibe. Und wie viel bedachter; meine Rückenschmerzen reichen mir, die Hände sollen verschont bleiben. Nach einer Weile erreicht man diesen eigenartigen Status der „Prä-Visualisierung“, der von guten Photographen angesichts des Digikamera-Booms immer wieder bestärkt wird: Man weiß, was man schreiben will. Man zeichnet es nur noch mit dem Stift nach.
Klar, dass das oft nicht das Niveau der Pseudo-Kreativität transzendiert. Überarbeiten muss man aber sowieso immer. Immer! Einen unschlagbaren Vorteil hat dieser Ansatz jedoch selbst für Technophile: Funktioniert immer, überall. Im Bus, in der Warteschlange des Arbeitsamts, nach dem Beischlaf, während man die Kotzkekse für die Katze sucht. Papier und Stift sind jederzeit einsatzbereit, ganz anders als das sauteure Notebook, das seinen Akku geladen haben will oder wegen des aktuellen Flash-Updates rumzickt.
Diese Abschottung von der großen weiten Welt – oder dem World-Wide-Web, je nach Gusto – mag anachronistisch erscheinen. Aber einen Versuch ist es definitiv wert. Und sei es nur, weil man sich so die nächste teure Schreibumgebung-für-Autoren sparen kann. Das Geld ist wirklich besser in Alkoholika angelegt. Oder besserem Katzenfutter.