Die Flut!, oder: E-mail für Freischaffende.

postboxManche lieben Mail-Kommunikation heiß und innig, andere hassen es wie die Pest. So oder so, E-mail wird uns wohl auch im Zeitalter von WhatsApp, Skype und Konsorten noch lange erhalten bleiben. Aber wie mit der Mailflut umgehen?

Ich mag E-mail. Richtig doll! Ich kann selbst entscheiden, wann (und ob) ich auf Anfragen reagiere. Ich werde nicht mitten in einem Kreativitätsschub von meinem Handy angepiepst, kein Messenger hüpft in der Taskleiste herum und stört. Zwei, drei mal am Tag Mailprogramm aufmachen, abarbeiten, Ruhe ist.

Tja. Wenn nur leider nicht in der Zwischenzeit die Inbox geflutet worden wäre. Das alles muss erst mal gesichtet und nach Relevanz bewertet werden. Besonders für Freischaffende nicht immer ganz einfach: Wir haben nicht nur eine Projektleitung, sondern arbeiten oft an mehreren Projekten unterschiedlicher Unternehmen parallel, je nach unserem Geschäftsfeld mit einer Handvoll bis mehreren dutzend Kunden gleichzeitig. Verlegt man den Hauptteil seiner Kommunikation aufs Medium »E-mail«, kommt entsprechend viel zusammen – das dann bitte im Anschluss auch archiviert werden soll. Oft weit über das Ende eines Projektes hinaus.

Kurz: Auch wenn man E-mail persönlich bevorzugt und den Einsatz dieses Kommunikationskanals forciert (indem man z.B. nur in Ausnahmefällen Telefonnummern an seine Kunden weitergibt), wird man kaum darum herumkommen, sich Gedanken über den Umgang mit Mail zu machen. Sonst droht man in Nachrichten zu ertrinken und darf sich an Holzstöckchen festklammern, die so unangenehme Namen tragen wie »trotzdem kurz anrufen« oder »Entschuldigungsmails tippseln«.

Wie an anderer Stelle erwähnt gehe ich mit E-mail etwas anders um, als ich es aus meinem Bekannten- und Kollegenkreis kenne. Ich habe keine Unterordner für Kunden oder Projekte, und auch wenn ich versuche, die Inbox überschaubar zu halten – meine sporadischen »Inbox Zero!«-Ausrufe auf Twitter sind eher ironischer Natur. Denn ich muss den Posteingang nicht leer bekommen, um den Überblick zu behalten.

Geschichtslektion.

Mein Ansatz für den Umgang mit Mails stammt aus einer Zeit, als die Opera-Mailkomponente, M2, noch wegweisend war. Anders als die damalige Konkurrenz von Outlook (Express), Thunderbird und Apple Mail setzte Opera auf »Labels« statt Unterordner. Die Nachrichten sollten innerhalb eines einzigen Ordners bzw. einer Datenbank liegen. Struktur brachte man mit besagten »Etiketten« rein, die Filterfunktion erledigte den Rest.

Mails sinnvoll gruppiert und mit Labels versehen: Opera M2
Mails sinnvoll gruppiert, aber ohne Unterordner: Opera M2. (Screenshot: archive.org, opera.com)

Der Gedanke dahinter: Lieber das Gewünschte schnell finden, als ewig lange hirnen, ob man eine Rechnung jetzt besser in den Kundenordner, in den darin enthaltenen Projektordner, oder doch lieber in den Ordner für den Steuerberater ablegen sollte. In dieser Hinsicht nahm M2 vieles vorweg, was Google mittlerweile mit Gmail anbietet. Nur halt schon so anno 2003 rum. Und nicht als Webapplikation, sondern als »richtiges« Programm, das auch dann funktionierte, wenn man gerade nicht online war.

Tags, Labels und Metadaten – also Postbox?

Ich habe nie verstanden, weshalb Menschen ausgerechnet E-mails in Unterordnern organisieren. Kaum ein digitales Dingens kommt von Haus aus mit so vielen Metainformationen wie eine E-mail: Absender, Empfänger, Titel sind Voraussetzung, um überhaupt eine Mail zu verschicken. Versanddatum, der Pfad durchs Netz, Server, Spam-Bewertung etc. kommen hinzu. Dann die eigentlichen Informationen: Der Inhalt ist in der Regel reiner Text oder HTML, kann also leicht durchsucht werden. Verschlüsselte Mails lassen sich auf Wunsch lokal indexieren. Links sind leicht zu finden: Entweder, sie fangen im »Plaintext« wohlgeformt an (also z.B. mit http://, ftp:// oder www), oder sind in HTML-Mails passend getaggt. Anhänge sind sowieso kein Problem: das sind halt angehängte Dateien.

Ein Mail-Client sollte es aus meiner Sicht dem Anwender so einfach wie möglich machen, Nachrichten zu finden. Nicht, Dateien in einer Ordnerstruktur herumzuschieben.

Hier setzt, wie damals Opera M2 und heute eingeschränkt Opera Mail, Postbox an.

Postbox 4 ist aufgeräumt und übersichtlich, wenn auch ein bisserl zu »flach« für meinen Geschmack.
Postbox 4 ist aufgeräumt und übersichtlich, wenn auch ein bisserl zu »flach« für meinen Geschmack.

Postbox baut auf dem Code von Thunderbird auf und bietet im Kern nicht viel mehr, als Thunderbird auch könnte – aber aus mir unerfindlichen Gründen nicht anbietet. Ich kann in Postbox die Inbox komplett tastaturgesteuert durchgehen und Mist aussortieren, Schlagwörter verteilen, die gerade laufenden Projekte in einer Seitenleiste sammeln, und in einem weiteren Panel werden etwaige Links und Anhänge einer Nachricht aufgelistet. Statt Nachrichten kann ich mir auch nur Bilder und andere Anhänge anzeigen lassen, Gespräche als »Konversationen« bündeln und zusammenfassen lassen. Die »Unified Inbox« aus Thunderbird ist hier keine Option, sondern die Standard-Ansicht. Zumindest mir ist es recht egal, auf welchem meiner Mailkonti eine Nachricht hereinkam – was mich interessiert ist ihr Inhalt.

Soweit zur Organisation. Aber auch das Reagieren geht fix: Wer der Zwei-Minuten-Regel von GTD folgt, kann direkt »in« der gelesenen Nachricht antworten. Und natürlich auch automatisch vervollständigen. Statt »Mit besten Grüßen aus dem Toggenburg, Ihr Sascha Erni« reicht auch ein STRGL/CMD+L, dann die Auswahl der gewünschten Antwort.

Nicht so mächtig wie TextExpander, aber für Mails reicht’s.

Nicht so mächtig wie TextExpander, aber für Mails reicht’s.

Fast alle diese Möglichkeiten lassen sich in Thunderbird, Outlook und Apple Mail nachbauen oder zumindest mit Drittprogrammen ähnlich lösen. Aber in Postbox bekomme ich es out-of-the-box, sinnvoll aufbereitet und ins Gesamte integriert.

Inbox Null.

Wie gehe ich nun konkret vor, wenn ich 2-3x am Tag mein Mailprogramm starte?

  1. Ich verwende die Spalten-Ansicht: Links die Nachrichtenliste (Inbox), rechts die aktive Nachricht.
  2. Mit den Cursortasten blättere ich durch die Liste. Mit »J« (wie »Junk«) markiere ich Spam, mit »S« (wie »Sticky«) Nachrichten, die ich auf alle Fälle in der Inbox halten muss. Postbox nennt diese Nachrichten »Reminders« (Erinnerungen).
  3. Postbox merkt sich, wenn ich einem Gespräch bereits Schlagwörter (z.B. für ein Projekt) vergeben habe, und fügt die Schlüsselwörter neu hinzugekommenen Nachrichten automatisch zu.
  4. Möchte ich eingegangenen Nachrichten ein weiteres Schlüsselwort mitgeben, ziehe ich sie aufs entsprechende »Topic« in der Attribute-Spalte oder vergebe die gewünschten Schlüsselwörter direkt in der Nachricht. Die »Topics« werden über IMAP auf den Mailserver synchronisiert und stehen auch fremden Mailprogrammen wie z.B. Thunderbird zur Verfügung.
  5. Muss ich auf eine Nachricht nicht weiters eingehen, möchte sie aber nicht löschen, drücke ich »A« (wie »Archiv«). Postbox verschiebt die Mail in den vorgegebenen Archiv-Ordner auf dem Mailserver oder lokal auf dem Computer.

Das wäre es eigentlich schon. Muss ich Mails abarbeiten, also darauf reagieren, Antworten tippseln und so weiter, hilft mir die Attribute-Spalte weiter: Ein Klick, und es werden z.B. alle Nachrichten, auf die ich noch nicht geantwortet habe, angezeigt. In der rechten Spalte habe ich alle Links und Anhänge der gerade angezeigten Nachricht sauber aufgelistet.

Gleich funktioniert die Suche nach einer alten Mail: Archiv anklicken und die gewünschten Attribute auswählen. »Zeig mir alle Mails des letzten Monats, bei denen Anhänge an Kunde XY gingen, und zwar an den Projektleiter?« Vier Klicks, fertig. Ansonsten hilft die Suchfunktion weiter. Da Postbox alle Nachrichten in einer Datenbank indexiert funktionieren solche Such- und Filtervorgänge auch bei zehntausenden Mails praktisch verzögerungsfrei.

Fazit?

Mein System ist nicht perfekt. Wie auch? Das liegt nur zum Teil an meinem Ansatz oder Postbox. Google hat mit Inbox gezeigt, dass man Mails auch abseits von »Ist Antwort auf …« oder »ist Spam« automatisch organisieren könnte. Das funktioniert in der Regel auch gut – sofern man sich denn im Google-Apps-Universum bewegen mag und keinen Mail-Client auf dem Notebook oder der Workstation benötigt. Postbox wird hier wohl noch aufholen, zumindest stehen mit Version 4 Filter für Mailinglisten und Benachrichtigungsmails (Facebook, Twitter, Foren etc.) zur Verfügung.

Die Synchronisation der Schlüsselwörter via IMAP heißt auch, dass diese »Topics« nicht automatisch auf anderen Rechnern nachgeführt werden, falls die Nachrichten bereits zuvor auf diese Rechner heruntergeladen wurden. Dann darf man die Nachrichten mit dem IMAP-Server abgleichen. Potentielle Fehlerquelle.

Aber: Ich habe in all den Jahren nicht eine dringend benötigte Mail »verloren«. Ich habe keinen Stress beim Aufräumen der Inbox. Backup ist einfach; 1x im Monat die »Archiv«-mbox vom Mailserver runterladen. Wenn ich die gerade aktiven Projekte in der Seitenleiste aufführe, und die jeweilige Projektleitung als »Favoriten«, finde ich alle etwaigen benötigten Nachrichten, Anhänge und Bilder in Sekundenschnelle. Benötige ich dieselben Mails und Inhalte ein Jahr später? Suchfunktion anwerfen, denn die ganzen Metainformationen hängen noch immer an den Nachrichten, aber stören nicht in Menüs und der Benutzeroberfläche. Und ich habe nicht 50+ Unterordner auf dem Mailserver rumfliegen.

Wird uns E-mail noch auf ewig den Nerv rauben, oder werden Konzepte wie Slack oder das frühzeitig verstorbene »Google Buzz« E-mail auch im beruflichen Umfeld ablösen? Ich weiß es nicht. Aber selbst wenn die beste Alternative, like, evarr!, auf den Markt kommen sollte: Wir werden noch ein Weilchen gegen die E-mail-Flut schwimmen müssen. Oder wir entscheiden uns, mit der Flut zu treiben. Aber dann bitte auf einem möglichst robusten Floß, wie es aktuell gerade Postbox 4 zu sein scheint.

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