Get Shorty!

Jeder, der schreibt, kennt das Problem: Die Texte werden zu lang. Okay, vielleicht nicht, wenn man seine Erfüllung bei [Twitter][1] sucht. Aber prinzipiell? Egal, ob mit Stift oder Computer? Man schreibt zu viel.

### Wie kannst Du sagen, dass man zu viel schreibe? Man schreibt doch genau das, was einem unter den Fingernägeln brennt! ###

Ja, aber oft ist es so, als ob man Natrium unter den Nägeln hätte. Man schreibt und schreibt, und hat plötzlich 26 000 Zeichen getippselt. Obwohl für diesen bestimmten Wettbewerb nur zwölftausend Anschläge gefordert waren. Oder obwohl das Ganze als Kurzeinleitung auf eine Website soll, nicht als geschichtliche Abhandlung zum Werdegang der Bundesrepublik.

Schriftsteller kennen das sehr gut. Außer, sie heißen Hemingway, aber dann hat man ganz andere Probleme. Wie zum Beispiel, dass man tot ist. Aber ich schweife ab.

[1]: http://www.twitter.com/nggalai

Über kurz oder lang ist man als Autor gezwungen, sein Werk zu kürzen. Sei es, weil der Lektor die Nebengeschichte überflüssig findet. Die, wo die lesbische Freundin der Protagonistin sich einen Pudel kauft, der auch lesbisch ist. Zum Beispiel. Oder sei es, weil die Angaben eines Magazins nicht eingehalten werden können. Nein, die drucken nicht extra zehn Seiten mehr, nur, damit Euer Machwerk nicht verstümmelt wird.

„Verstümmelt“ ist ein gutes Stichwort. Viele Autoren sind dermaßen von sich selbst und ihrer ersten Eingebung überzeugt, dass sie sich nicht kurzfassen wollen und nicht kürzen mögen. Dabei ist das Kürzen *das* Werkzeug im Kasten eines jeden Schreiberlings, das einen Text wirklich besser machen kann.

Texter haben es noch schwieriger. Einfach, weil die Anzahl Wörter oder Anschläge in der Regel auf den Punkt vorgegeben ist. Im 5x4-Kasten auf Seite siebzehn hat’s nunmal nicht mehr Platz. Aber eben auch nicht weniger. Man muss also lernen, sich kurz zu fassen, aber trotzdem sein Soll zu erfüllen. Ohne langweilig oder repetitiv zu wirken.

Kurz (ha!) gesagt: Auch Texter müssen lernen, zu kürzen. Selbst dann, wenn sie sich von Haus aus eher knapp fassen. Zusätzlich dürfen’s aber auch lernen, Zeilen zu füllen. Ich nenne es gerne „Blubbern“. Aber das Kürzen fällt den meisten Menschen schwerer.

Es gibt einige Ansichten zum Thema „wie kürze ich richtig?“ Die meisten sagen: Adjektive raus, Adverbien weg. Lieber konkrete Nomen und Prädikate verwenden. Spart schon so einiges, besonders, wenn man sowieso zur „blumigen Sprache“ neigt. In einem Gedicht würde ich das allerdings nicht machen wollen. Und auch in Prosa muss man aufpassen, dass man nicht den Eindruck erweckt: Der schläft mit seinem Thesaurus. Das Maß macht’s aus.

Glücklich über den Radiergummi sind auch nebensächliche Seitenstränge und unnötige Charaktere. Nicht, dass man gleich ein Hollywood-Drehbuch abliefern soll! Nein! Und augenscheinlich unwichtige Charaktere können durchaus eine wichtige Funktion in einer Geschichte haben. „Funktion“ ist das Wort hier. Alles sollte im großen Ganzen verzahnt sein. Auch und besonders bei Kurzgeschichten. Laut Definition sollen sie von einer „unerhörten Gegebenheit“ berichten. Und nur dann von zweien oder mehreren, wenn es zum Hauptstrang der Geschichte gehört. Und nicht einfach, weil man etwas „Stimmung“ aufbauen wollte. Geschichten sollen eine Geschichte erzählen. Der Plot ist König.

Bei Textern sieht es ähnlich aus, aber: Sie müssen sich strenger an die Gegebenheiten der Branche halten, für die sie schreiben. Wer Poesie-Alben verkaufen will, kann nicht darauf verzichten, wie ein Weltmeister Adjektive unter die Wörter zu mischen. Und man kann auch nicht einfach „nebensächliche“ Funktionen einer Software ausschließen, nur weil sie nicht so gewichtig sind wie die Hauptverkaufspunkte. Aber man muss sich auch da auf die POS konzentrieren; das andere unter „ferner liefen“, vielleicht auf einem gesonderten Blatt. Übrigens, POS – nicht „piece of shit“, sondern „point of sale“. Nur, damit Sie nicht auf falsche Ideen kommen.

Habe ich diesen Artikel gekürzt? Natürlich. Der war länger als das, was Sie jetzt lesen. Aber nicht *viel* länger. Denn eine Kolumne soll ja auch dazu da sein, dass man sich aussprechen kann. Fast hätte ich „auskotzen“ geschrieben. Nun ja. Das lasse ich drin.

Ich selbst habe immer wieder Probleme damit, Texte zusammenzustreichen. Es tut mir schon fast physisch weh. Aber es ist nötig, in den allermeisten Fällen. Lieber eine knackige Novelle mit 100 Seiten als einen aufgedunsenen Rohentwurf von 312 Seiten. Lieber drei Sätze auf der Homepage unter „Philosophie“ als drei Seiten. Und – egal, ob Texter oder Schriftsteller: Man kann das Gestrichene ja wiederverwerten. Recycling. Was einem in Zukunft viel bringen kann. So, wie es der Grüne Punkt auch von sich behauptet.


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